Case: Leggero
Anhänger mit Engagement
Adrian Hungerbühler hat seine eigene Idee von Erfolg. Wenn man den Industrieleiter fragt, was ihn antreibt, dann sagt er nicht: „möglichst viel Profit generieren“. Er sagt: „möglichst viele Menschen im regulären Arbeitsmarkt integrieren.“ Hungerbühler leitet das Center ,Brüggli Industrie‘ des Vereins Brüggli in Romanshorn. Dort hat man sich der Mission verschrieben, Menschen mit psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen fit für den ersten Arbeitsmarkt zu machen und gleichzeitig qualitativ hochstehende Produkte wie die von Leggero herzustellen; nachhaltig, ökologisch und ethisch korrekt produziert.
Die Marke Leggero steht für Kinder-Veloanhänger — und das erfolgreich: Die Produkte spielen seit über fünfundzwanzig Jahren eine wichtige Rolle am Markt, das Modell ,Enso‘ wurde mit dem Design Preis Schweiz 2015/16 in der Kategorie Konsumgüter ausgezeichnet. Es ist bislang der einzige Anhänger, der neben den TÜV-Sicherheitsrichtlinien für Kinderanhänger auch jene für Kinderwagen erfüllt.
Hergestellt werden die Anhänger im eigenen Betrieb im Thurgau. Damit unterscheidet sich das Schweizer Unternehmen von vielen Konkurrenten, die ihre Produkte am preisgünstigsten Standort produzieren lassen. Denn bei Leggero ist man nicht in erster Linie profitorientiert, sondern versucht, die Mitarbeitenden unabhängig vom Alter und entsprechend ihrer individuellen Herausforderungen mit fairen und möglichst wirtschaftsnahen Bedingungen in die Arbeitswelt zu integrieren. Unter anderem weisen die Ostschweizer IV-Stellen jedes Jahr über hundert Schulabgänger, die einen Ausbildungsplatz suchen, einem Brüggli-Bereich zu. Viele wechseln nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt.
Dies zeige, dass das Konzept funktioniert, hält Hungerbühler fest: „Die Zusammenarbeit mit der IV ist eng und sorgt für regen Austausch.“ Die Ausbildungsdienstleistungen seien über die Auszubildenden selbsttragend. Man denke wirtschaftlich und erfolgsorientiert und erspare so dem Steuerzahler zusätzliche Kosten. Konsequenterweise sieht man sich beim Unternehmen nicht als geschützte Werkstatt, sondern als betreute Ausbildungsstätte, wo die Mitarbeitenden ihre Fähigkeiten weiterentwickeln können, dafür aber auch ihr Bestes geben müssen.
Entwickelt und konzipiert werden die Leggero Anhänger von Tribecraft in Zürich. Die Ingenieure und Designerinnen des Büros sehen die spezifischen Voraussetzungen, welche der Auftraggeber mitbringt, als willkommene Herausforderung.
„Andere Unternehmen wollen möglichst spezialisierte und einheitliche Lösungen für die Herstellung“, sagt Entwicklungsingenieur Marco Stoffel von Tribecraft. Bei Leggero lege man Wert auf einen vielseitigen Montage-Prozess, der es den Mitarbeitenden ermöglicht, an ihren Fähigkeiten zu arbeiten. „Diese Anforderungen versuchen wir stets im Aufbau- und Herstellungskonzept einzubetten.“
Die Endkunden sollen von dieser Komplexität jedoch nichts mitkriegen, im Gegenteil. „Beim Produkt selber denken wir so praktisch wie nur möglich“, sagt Stoffel. So verfügt der Enso über zahlreiche integrierte Kniffe: Er schluckt mit seinem Öldämpfer Stösse bis 75 mm für Sicherheit im Gelände und an der Kante des Trottoirs. Die Kinderwagen-Räder werden mit einem lockeren Kick ausgeklappt. Kein anderer Anhänger lässt sich bequemer falten und verstauen. Im Dach des Sonnenverdecks ist der Regenschutz schon bereit, falls der Platzregen kommt. Ein faltbarer „Rucksack“, in dem eine Einkaufstasche bequem Platz findet, stellt Gepäckraum nach Bedarf bereit. Und dann ist da auch ist das transparente Sichtfeld für die Eltern, in dem neben dem Portemonnaie auch das Handy verstaut werden kann, das während der Tour Geschichten aus dem blauen Wunderland abspielt.
Bedeutend ist für die Entwickler:innen von Tribecraft die Durchgängigkeit der Entwicklung von A bis Z. Denn oft umfasst die Arbeit primär Ideen und Konzepte, manchmal wird das Projekt nach den ersten Prototypen weitergegeben. Bei Leggero hingegen sind sie im gesamten Entstehungsprozess eines Produktes involviert, von der Skizze über die Erstellung des fertigungsreifen digitalen Modells bis zur Begleitung der Crash-Tests am Serienprodukt. Das sei sehr wertvoll, sagt Stoffel. „Dadurch müssen wir Herausforderungen bewältigen, die sich erst spät in der Umsetzung ergeben. Mit diesen Erfahrungen können wir in anderen Projekten, in denen wir uns auf die Konzeption früh im Entwicklungsprozess fokussieren, wichtige Weichenstellungen rechtzeitig angehen.“
Von wertvollen Erfahrungen spricht auch Gaetano Puopolo. Er ist einer von 42 Mitarbeitenden in der Montage-Abteilung in Romanshorn. Er sagt: „Die Arbeit am Leggero braucht Konzentration. Besonders gern montiere ich die Bremsen und Seitenteile.“ Wer welche Arbeit mache, werde jeden Tag neu eingeteilt. Dadurch bleibe die Montage abwechslungsreich und man könne sich einbringen. Er fügt zufrieden an: „Ich sehe viele Leute auf der Strasse, die einen Leggero haben. Das macht mich stolz, denn ich habe daran gearbeitet. Ich habe etwas Gutes, Schönes geleistet.“
Aus Designpreis wird Förderprojekt
Mit dem Preisgeld des Design Preis Schweiz für den Leggero Enso fördern Tribecraft und Brüggli ein Projekt von Maya Martin und Sophie Glenzer. Sie haben das Konzept Henri entwickelt. Mehr lesen...